Friedericke Mayröcker Zyklus

Man muss sich Johanes Zechner diesbezüglich fast als Kind vorstellen, das etwas nicht loslassen kann, von dem es sich angezogen fühlt. Besessen von einer Faszination stammelt er sich durch Sätze durch, liest und liest, notiert sich Zeilen, schreibt sie ab, liest sie erneut, liest laut und leise, schreibt sie mit einem Ölstift auf die Leinwand. (Johannes Rauchenberger)

Archiv FMZ Wolke
Archiv FMZ Wolke

Wolke, 2009,
Acryl und Öl auf Leinen, 160 x 200 cm

Archiv FMZ erwirdjetztanLandgespült
Archiv FMZ erwirdjetztanLandgespült

Er wird jetzt a Land gespült, 2009,
Acryl und Öl auf Leinen, 160 x 200 cm

Archiv FMZ esSprießen
Archiv FMZ esSprießen

Es sprieszen, 2009,
Acryl und Öl auf Leinen, 160 x 330 cm

Archiv FMZ erdeüber
Archiv FMZ erdeüber

Erde über, 2009,
Acryl und Öl auf Leinen, 160 x 330 cm

Archiv FMZ nachtswarregen
Archiv FMZ nachtswarregen

Nachts war Regen, 2013,
Acryl und Öl auf Leinen, 160 x 330 cm

Archiv FMZ Übergesetzt
Archiv FMZ Übergesetzt

Übergesetzt, 2009,
Acryl und Öl auf Leinen, 300 x 200 cm

„hier sitze ich hier oben, mit meinen Scheuklappen.“ –  „eigne ich mich womöglich als Medium?“

(Johannes Rauchenberger)

Gelb, orange, braun, rot, violett, blau – Flächen, farblich abgestufte Flächen, die sich in ihrer Farbfamilie halten: Darauf Wörter, als Handschrift gefasst, nicht selten in Sprechblasen, dann wieder geschrieben in schönen Versalien: Das ist der erste Eindruck für den des Lesens von Johanes Zechners Kunst Unkundigen in dieser Ausstellung. Aber selbst er, selbst sie, wir alle tauchen ein in eine Atmosphäre der Farbe, mitnehmend ein paar Wortfetzen, die verstehbar sind, oder wenigstens erahnbar: WORT UND WANGE beispielsweise. Die Wange ist rot oder blass, sie ist nah, sehr nah, so nah, dass man sie nicht mehr sehen kann, sie ist zum Küssen oder bloß zum Begrüßen da, für das Ermessen von Fieber oder zum Erfühlen der Kälte, auch jener Kälte zuletzt, um trotz ihrer Totenstarre die Nähe ein letztes Mal zu ertasten.

In der Tat wurden die farbigen Gründe dieser großen Leinwände einmal für ein Krankenhaus in Hamburg gemalt. Es ging damals um die Frage, ob Farbe Kraft hat. Und: welche Farbe welche Kraft hat. In einem Krankenhaus hat sie eine Funktion: zu heilen. Mehr nicht. Der Rest ist Geplänkel und ästhetisches Getue.

Das ist der Grund dieser Leinwände im ursprünglichsten Sinne, bevor Schrift auf sie kam. Wie sehen diese Flächen genauer aus? Es sind Felder, Farbfelder, die das Bild letztlich halten. Abstrakt in der Tradition, wie es seit Piet Mondrian bis zum Minimalismus ins Bildgedächtnis eingepflanzt wurde. Aber bei Johanes Zechner ist es auch etwas anderes. In seiner eigenen Geschichte ist es auch ein Puzzle. Die Puzzle-Bilder sind ein Merkmal seiner mehr als 30-jährigen Bild-Geschichte. Puzzle-Bilder haben einen Vorteil: Sie sind auf der Reise und im Stauraum flexibler. Johanes Zechner war in seinem Leben viel unterwegs. Doch so farblich monoton einander ähnelnd wie diese Flächen waren seine früheren Puzzle-Bilder nicht, im Gegenteil: Sie boten Bildräume an, die höchst unterschiedlich waren: Zeichen und Bild, Schrift und Malerei hatten Platz. Sie behaupteten sich jeweils in ihrer engen Fläche und setzten notwendig Bezüge zu den anderen Flächen. Das ist natürlich ein Spiel mit Systemen, ein Ausloten von Bezügen, letztendlich ist es aber auch ein Statement, dass Bilder erzählen: Eine besonders reich entwickelte Form der Bilderzählung war es, dass sie Bildflächen bespielt hat, die sich gegenseitig bedingen, weiterführen und ergänzen. Das führt uns tief in Europas Malereigeschichte mit ihren Erzähltableaus und komplexen Erzählstrukturen. Dennoch erscheinen Asterix, Donald Duck oder die Simpsons genau so am Horizont der Sprechblasen dieser Comic-Stripes.

Doch keine Figur ist in den aktuellen Bildern zu sehen, nur einmal eine Taube. Alles, was zu sehen wäre, spielt sich in der Farbe ab. Die Flächen sind genau so groß, dass sie am Ende, in der richtigen Anordnung, wieder ein Bild ergeben. Das ist die Begrenzung, die sich Johanes Zechner immer noch, oder: wieder gibt. Bilder sind eben Bilder. In ihnen kann etwas geformt werden, was in der Wirklichkeit nicht ist. Bilder sind aber auch Fenster, die uns aus dieser Wirklichkeit hinausführen in eine Sicht, die uns überschreitet: Ein großes „FM“ fügt sich in ein Fenster ein, das in seiner Knappheit fast an den Grabstein von Ernst Bloch1 erinnert, ein Fenster, das aber auch aus einem Fresko Fra Angelicos stammen könnte, jedenfalls eines, das an der Grenze von sakraler zur profanen Malerei steht und das in Johanes Zechners Mayröcker-Übersetzung an den Anfang gestellt werden kann: „Ich überschreite Flüsse und Grenzen.“ *340

Johanes Zechners künstlerisches Œuvre ist nicht nur in seinen Flächenstrukturierungen charakteristisch, sondern es ist auch durchzogen von seinen ebenso charakteristischen Lettern. Eine Wiedererkennbarkeit ist schnell gegeben. Was schreibt und schrieb er auf seine Bilder? Im näheren Sinn sind es drei Lyriker(innen), die, nach einer ersten fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Übersetzer Peter Waterhouse in den frühen Neunziger Jahren, seine letzten beiden Jahrzehnte in einer unvergleichlichen Weise inspiriert haben: Der österreichische Dichter Reinhard Priessnitz – im Buch „Blaue Lauben“2 , die dänische Schriftstellerin Inger Christensen – mit Zechners 99-teiligem Zyklus: „Diese weiße Ekstase“3  und, nun zum ersten Mal damit an die Öffentlichkeit gehend, Friederike Mayröcker.

Die beiden letzteren wussten bis zur Fertigstellung der Zyklen nichts davon. Der erstere war 1985 verstorben, ein einziges Buch war 1978 zu dessen Lebzeiten erschienen, trotzdem ist er im Rang eines Klassikers anzusehen. Die große, am 3. Jänner 2009 verstorbene dänische Lyrikerin – es war eine ihrer letzten Lesungen – und den Künstler Johanes Zechner führten wir im Herbst 2008 im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz in einer eindrucksvollen Lesung und Ausstellung zusammen. Zechner hätte es sich nicht getraut, ihr davon zu berichten, geschweige denn sie zu fragen. Dasselbe gilt für Mayröcker. Somit kommt etwas unsicher Flirrendes hinzu, das sich an diesen Bildern einstellt: Darf man das eigentlich, einfach Sätze abschreiben, die das geistige Eigentum des anderen sind?

Man muss sich Johanes Zechner diesbezüglich fast als Kind vorstellen, das etwas nicht loslassen kann, von dem es sich angezogen fühlt. Besessen von einer Faszination stammelt er sich durch Sätze durch, liest und liest, notiert sich Zeilen, schreibt sie ab, liest sie erneut, liest laut und leise, schreibt sie mit einem Ölstift auf die Leinwand. „er wird jetzt an Land gespült! er kommt jetzt an!“ *330 „… zwischen Blumen …